Ein Interview mit Peter Madsen zur Stummfilm-Musik

17.01.10

„Film als Inspiration um etwas Musikalisches zu schaffen“
Interview: Walter Gasperi

Filme wie „Nosferatu“ und „Metropolis“ gehören zu den Klassikern der Filmgeschichte, sind aber vielfach auch, da es sich um Stummfilme handelt, mit dem Fluidum des Antiquierten und Verstaubten behaftet. Der New Yorker Pianist Peter Madsen, der seit neun Jahren in Höchst und New York lebt und am Jazz-Seminar Dornbirn unterrichtet, hat nun ein Musikprojekt gestartet, das mit diesem Vorurteil aufräumen und Lust auf Stummfilm insgesamt machen soll. Mit einer immer wechselnden Anzahl von Musikern seines CIA-Ensembles improvisiert er einmal im Monat im Dornbirner TiK nicht nur zu den genannten Klassikern, sondern auch zu weitgehend vergessenen Stummfilmen aus exotischeren Regionen wie Indien und Japan. Walter Gasperi sprach mit Peter Madsen über dieses Projekt, über seine Intentionen und Arbeitsweise sowie über das Verhältnis von Film und Musik bei diesen Film-Konzerten.

Wie bist Du als Jazzmusiker auf die Idee gekommen, Stummfilme musikalisch mit Improvisationen zu begleiten?

Ich fing ursprünglich als Jazzmusiker, aber auch als klassischer Musiker an. So hatte ich schon von Anfang an zwei sehr verschiedene Vorstellungen von Musik. Mit der Zeit habe ich dann mehr und mehr begonnen mit Tänzern, Dichtern und Filmemachern zusammen zu arbeiten. Da ich immer schon sehr am Stummfilm interessiert war, war für mich die Idee zu Stummfilmen zu improvisieren sehr nahe liegend. Ich würde mich selbst auch nicht als Jazzmusiker, sondern zunächst als Improvisations-Musiker bezeichnen. Das schließt zwar Jazz ein, aber auch andere musikalische Richtungen. So geht es bei diesem Projekt mit Stummfilm und Musik auch weniger um Jazz als vielmehr ums Improvisieren.

Spontane musikalische Reaktion auf die Bilder

Sind diese Filmabende im Dornbirner TiK Deine ersten öffentlichen Auftritte in dieser Richtung?
Bislang habe ich im Bereich des Films nur zu Soundtracks von zeitgenössischen Filmen musikalische Beiträge beigesteuert. Stummfilm-Projekt ist dies somit mein erstes. Ich wollte das immer schon machen, schon als ich vor neun Jahren nach Vorarlberg kam. Aber es hat eben eine lange Zeit gedauert, bis sich die Möglichkeit ergab, das zu verwirklichen.

Du improvisierst zusammen mit David Helbock, Herbert Walser, und anderen jungen, talentierten CIA – Musikerinnen und Musikern zu den Filmen. Ist dabei eine genaue Kenntnis des Films nötig?

Nein. Wir haben es auf beide Arten versucht. Als ich mit dem Projekt begann, habe ich eine kleine Gruppe aus dem CIA-Ensemble ausgewählt. Mit dem ganzen 14-köpfigen Ensemble kann man nicht so einfach frei improvisieren. Es könnte dann chaotisch werden. Wir trafen uns also immer zu fünft oder zu sechst und ich brachte verschiedene Filme mit, um zu lernen auf die Bilder musikalisch zu reagieren und zu interagieren.

Wird da gemeinsam vor den Filmvorführungen der Film angeschaut und auch schon mal geprobt?

Wir machten und machen Proben – aber nicht bei allen Filmen. Manche Filme sehen meine Mitspieler wie das Publikum bei der öffentlichen Aufführung zum ersten Mal. So wissen sie bei einigen Filmen, was passieren wird, bei anderen ist es dagegen eine völlig spontane Interaktion und sie müssen darauf reagieren, was sie sehen. Die beiden Formen erzeugen unterschiedliche Effekte und das war auch meine Idee und macht die Sache spannend.

Und das wird nicht chaotisch?

Nein. Wir üben zuvor ja mit anderen Filmen und ich gebe ihnen Anregungen, wie sie Filme anschauen und sich inspirieren lassen sollen. Meine Idee ist nicht, dass wir den Film begleiten – das ist alter Stil. Im alten Konzept von Stummfilmmusik gab es den Film und einen Klavierspieler, Organisten oder auch eine Musikgruppe, die den Film mit einer vorliegenden Komposition oder auch mit ihrer Improvisation begleiteten. Manchmal passte dann die Musik auch gar nicht zum Film, sondern es wurden einfach gerade populäre Songs gespielt. In anderen Fällen interagierte die Musik wiederum wirklich mit dem Film.

Musik und Film als gleichwertige Partner

Was ist das Ziel dieser musikalischen Improvisation zu über 80 Jahre alten Filmen?
Für mich ist die Hauptintention etwas Neues zu schaffen. Ich schätze es sehr, wie die Improvisation mit anderen Kunstformen wie Tanz oder eben einem Film, mich inspiriert etwas Anderes als das zu schaffen, was man normalerweise machen würde. So dient der Film meiner Meinung nach als Inspiration, um etwas Musikalisches zu schaffen. Das ist keine einfache Sache, denn sehr viele Improvisatoren haben ihre Lieder und eine musikalische Struktur im Kopf, die sie dann auf der Bühne präsentieren. Hier gibt es aber keine komponierte Melodie, die dich leitet, sondern nur den Film. Musikalische Kenntnisse und die Beherrschung musikalischer Techniken sind Grundvoraussetzungen, aber dann und im Zentrum geht es ums Improvisieren, für das dir der Film, die Idee geben soll. Da kommt dann selbstverständlich musikalisch bei Leni Riefensthals und Arnold Fancks Bergfilm „Der Heilige Berg“ etwas ganz anderes heraus als bei Murnaus Vampirfilm „Nosferatu“.

Soll die Stimmung des Films rekonstruiert werden?

Manchmal. Im Gegensatz zur verbreiteten Meinung, dass die Musik den Film nur begleiten soll, gehe ich davon aus dass wir als Musiker ein gleichwertiger Partner des Films sind. In Stummfilmzeiten spielte die Musik eine große Rolle um die Stimmung der Handlung zu verstärken oder zu konterkarieren. Wir versuchen nicht alte Musik zu spielen, was wir auch könnten, sondern versuchen alles zu spielen, was irgendwie mit dem Film interagiert – und das ist das Herzstück unserer Arbeit.

Die Musik muss sich also nicht dem Film unterordnen, sondern der Film dient in erster Linie als Inspiration für die Musiker?

Genau. Und so kann die Musik auch in jede Richtung gehen. Das lehre ich auch meine Schüler am Jazz-Seminar, dass sie mit etwas, beispielsweise der Handlung und der Stimmung eines Films, gehen können, aber auch dagegen. Ich mag dieses dagegen spielen, das erzeugt eine interessante Spannung.

Alles ist erlaubt!

Und gibt es da auch Grenzen oder ist es erlaubt den Film völlig zu verfremden wie beispielsweise Giorgio Moroder, der Anfang der 80er Jahre Fritz Langs „Metropolis“ mit einem Pop-Soundtrack unterlegte und so aus dem Stummfilmklassiker im Grunde einen Videoclip machte?

Da gibt es keine Grenzen. Da darf man machen, was man will. Es ist eine offene Welt und das wichtigste ist, dass man involviert ist – involviert in das Geschehen auf der Leinwand, aber auch in das Spiel der anderen Musiker. Man muss also auf zwei Dinge auf einmal reagieren.

Gibt es Deiner Meinung nach auch Stummfilme, die völlig ungeeignet für diese Art von Improvisation sind?

Bis jetzt habe ich noch keinen Film gefunden, bei dem ich gedacht habe, dass wir dazu nicht spielen könnten. Am schwierigsten finde ich es aber zu Komödien zu spielen, da man dabei leicht in Klischees fällt, weil man eine Vorstellung davon im Hinterkopf hat, wie die Musik zu Slapstickfilmen klingen sollte. Und sich von diesen Gedanken zu lösen und etwas anderes zu spielen ist sehr schwierig und eine große Herausforderung. Deshalb haben wir bislang auch noch keine Stummfilmkomödie in unser Programm aufgenommen.

Mix aus Klassikern und Ausgefallenem

Und wie gehst Du nun bei der Auswahl der Filme vor?

Da geht es mir darum klassische Filme mit solchen zu mischen, die die Leute nicht kennen. Das Programm insgesamt sehe ich als Serie und hoffe, dass man nicht nur einmal kommt, sondern beim ersten Besuch Lust auf mehr bekommt und so die Zahl der Besucher von Abend zu Abend größer wird. Die Filme in diesem Herbst sind ein Beginn und ich möchte das einmal pro Monat, so lange es den Leuten gefällt, fortsetzen.

Wie bist Du auf die weitgehend unbekannten Filme „A Throw of the Dice“ und „The Dragon Painter“ gestoßen?

Ich habe einige Bücher zum Stummfilm gelesen und auch Recherchen durchgeführt. Dabei war ich auf der Suche nach Filmen, die weder normale Hollywood-Filme noch typisch deutsche Stummfilme sind. Ich will auch ausgefallene Filme aus Regionen zeigen, aus denen man kaum Stummfilme kennt.
Worum geht es bei diesen beiden Filmen?

„The Dragon Painter“ ist ein japanischer Film mit einer typisch japanischen Geschichte. Es ist ein großes Melodram über einen Maler, der so lange großartige Gemälde schafft, solange er die große Liebe seines Lebens nur im Traum sieht. Als dieses Traumbild ihm aber in seinem Leben begegnet und er diese Frau heiratet, hört er auf zu malen, weil sein Begehren gestillt und er glücklich ist. Enttäuscht sind nun aber die Menschen, die seine Gemälde lieben, und bedrängen ihn wieder zu malen… – Mehr soll aber nicht verraten werden.

„A Throw of the Dice“ ist dagegen ein indischer Film, ein exotischer Film mit Elefanten und Tigern und ein Film über den Gegensatz von Reich und Arm. Erzählt wird die Geschichte von einem Spieler, der sich in eine schöne Frau verliebt, dann aber seinen ganzen Besitz verspielt. Da beide Filme nur 50 Minuten beziehungsweise 70 Minuten lang sind, zeigen wir sie als Doppelprogramm an einem Abend.

Factbox:
„A Throw of the Dice“ und „The Dragon Painter”
26.11.09, 20 Uhr

“Metropolis”
17.12.09, 20 Uhr

jeweils im TiK, Dornbirn