Jede neue Tür führt mich irgendwo anders hin

22.08.12

Der Pianist Peter Madsen im Gespräch

Text & Interview: Martin Schuster, Concerto 04/2012

Er ist einer der stillen Helden der internationalen Jazzszene. Die Liste seiner Aktivitäten ist endlos, und sie beeindruckt durch ihre Vielfalt. Ob Straightahead Jazz, Funk, Neue oder Improvisierte Musik, African Roots – Peter Madsen geht an jedes seiner Projekte mit der gleichen Ernsthaftigkeit heran. Anlässlich eines seiner raren Konzerte in Ostösterreich hat ihn CONCERTO vor das Mikrofon gebeten.

Racine, Wisconsin, ist eine mittelgroße Stadt am Michigan-See, etwa 100 km von Chicago entfernt. Dort wurde Peter Madsen geboren, studierte klassisches Piano und Kontrabass, schloss eine musikpädagogische Universitätsausbildung ab und übersiedelte, schon als Jazzpianist, nach Minneapolis, ehe es ihn mit 25 Jahren in den Big Apple zog. Seine Vielseitigkeit und seine außerordentlichen Fähigkeiten als Begleiter und Arrangeur machten ihn in weiterer Folge zum idealen Sideman für viele Jazzgrößen, darunter Benny Golson, Stanley Turrentine, Stan Getz, Randy Brecker, Bill Frisell oder die Mingus Big Band.

Seine erste CD als Leader, „Snuggling Snakes“, erschien 1993 auf einem deutschen Label. Europa wurde immer mehr zum zweiten Standbein in Madsens Karriere; schließlich bewog ihn seine Heirat mit einer Österreicherin, sein zweites Domizil in Vorarlberg aufzuschlagen. Es dauerte nicht lange, bis Peter Madsen sich als Jazzpädagoge und Mentor etablierte. Das von ihm initiierte Collective of Improvising Artists mit seinen diversen Absplitterungen gilt mittlerweile weit über die Grenzen Vorarlbergs hinaus als Fixgröße. Neben seiner Lehrtätigkeit (unter seinen Klavierstudenten waren David Helbock und Benny Omerzell) verbringt Peter Madsen jeweils ein paar Monate pro Jahr in New York und ist ansonsten mit Bands wie Fred Wesley & The New JB’s auf Tournee.

Wann und wie ist der Jazz in dein Leben getreten?

In meiner Kindheit war in den USA die schulische Integration ein großes Thema. Weil meine Eltern nicht das Geld für eine Privatschule hatten, kam ich in eine „schwarze“ Mittelschule. Ich ging am ersten Tag hinein, und da stand dieser riesige Junge. Er starrte auf mich hinunter und sagte so etwas wie „What’s up, little motherfucker?“ – Das war ein harter Einstieg. Aber ich kam mit schwarzer Jazzund Soulmusik in Kontakt, was auf einer „weißen“ Schule nicht passiert wäre.

Wann hast du beschlossen, Profimusiker zu werden?

Ich besuchte ein Jazz-Camp, als ich 17 war. Das war wie eine Initialzündung. Sie sagten mir: „Wir spielen jetzt frei. Fang einfach an.“ Ich schloss meine Augen, und die Zeit blieb stehen. Nachher schaute ich auf die Uhr – 40 Minuten waren vergangen. Es war dieser Moment des freien Improvisierens, der mein Leben veränderte.

Machen wir jetzt einen Sprung zu dem Zeitpunkt, als dich Stan Getz in seine Band holte. Das bedeutete ja einen wesentlichen Karriereschritt für dich …

Ich kam 1980 nach New York, und es gab für mich nie einen Mangel an Jobs. Ich spielte mit Sängerinnen, viele Duo-Gigs, auch als Restaurantpianist. Anthony Cox, der wundervolle Bassist, war damals in der Band von Stan Getz, und er hat mich empfohlen. Eines Tages rief Stan an: „Hey man, what are you doing on Friday?“ Es war der Wahnsinn: Stan Getz persönlich war am Telefon, nicht irgendein Agent oder Manager! Wir gingen auch gleich auf Tournee. Stan war schon krebskrank und wusste, dass er nicht mehr lange leben würde. Aber es war eine große Ehre, mit ihm zu spielen. Viele Leute verbinden Stan Getz nur mit diesem gehauchten „fa-fa-fa“-Sound und kennen ihn als den Bossa-Nova-King. Ich habe Stan Getz als einen Musiker erlebt, der hart und energiegeladen spielen wollte. Er konnte auch wundervoll Balladen spielen, aber im Grund war er ein Draufgänger.

Du bist ja in so vielen Stilen zu Hause – sei es Bebop, Free, afrikanische Musik, Funk, auskomponierte Musik für verschiedene Besetzungen … Wie lässt sich diese ungeheure Vielfalt erklären?

Mir ist langweilig, wenn ich immer nur dasselbe mache. Wenn ich mich z.B. für kubanische Musik interessiere, dann beschäftige ich mich vielleicht ein halbes Jahr damit, lese alles darüber, versuche alle CDs zu bekommen, die es gibt. Ich bin ein Forscher, und ich gehe immer in die Tiefe. Ich stelle auch viele Fragen und versuche die richtigen Leute zu treffen. Es ist ein großes Glück für mich, dass ich all diese Dinge tun kann, die mir so viel Spaß und Befriedigung geben. Ein Beispiel: die letzten vier Jahre war ich mit Pee Wee Eliis und seinem afrikanischen Projekt unterwegs. Er nennt es „Still Black, Still Proud/An African Tribute to James Brown“. Die Hälfte der Band waren Funkmusiker, die andere Hälfte kam aus Afrika, darunter auch Stars wie Cheikh Lô, die Mahotella Queens aus Südafrika oder Tony Allen aus Nigeria, der den Afro-Beat erfunden hat. Ich hatte also das riesige Glück, mit all diesen Leuten spielen zu dürfen.

Und wie kam dein Kontakt zu Fred Wesley zustande?

Das ging auch über Anthony Cox. Fred suchte für eine Aufnahme jemanden, der groovy spielen konnte, aber auch straight. Ich komme also in das Studio, und da stehen Maceo Parker und all diese anderen unglaublichen Musiker. Ich hatte keine Probe, sie legten mir einfach die Noten hin, und los ging’s. Nach dem ersten Song dreht sich Fred Wesley um und grinst über das ganze Gesicht. Maceo dreht sich auch um und fragt: Wo hast du denn den gefunden? Drei Monate später ruft mich Fred an: Wir gehen auf Tournee, um die CD zu promoten, möchtest du mit uns kommen? Natürlich habe ich ja gesagt.

Diese Zusammenarbeit dauert jetzt schon an die 20 Jahre, oder?

Ja, ungefähr 20 Jahre. Durch Fred habe ich eine Menge Leute aus seiner Welt kennengelernt, und das hat mir wieder die Augen geöffnet. Jede neue Tür führt mich irgendwo anders hin.

Wie wurdest du dann zur „grauen Eminenz“ in der Vorarlberger Jazzszene?

Meine Frau und ich sind dorthin gezogen, weil ich von einer Produktion mit Peter Herbert eine Menge Leute aus Vorarlberg kannte. Einer dieser Freunde verschaffte mir innerhalb von zwei Tagen einen Job in einer Musikschule. Zuerst fand ich es schwer, meinen Platz zu finden. Ich bin ein New Yorker! Alles ist so klein in Vorarlberg. Vor allem hatte ich niemanden, mit dem ich spielen konnte. Später habe ich jeden Samstag einen Drummer und einen Bassisten eingeladen und lehrte sie, nach meinen Vorstellungen zu spielen. Das ging natürlich nicht von heute auf morgen, aber nach und nach begannen wir regelmäßige Konzerte zu geben.
Daraus hat sich dann vor ca. fünf Jahren das CIA (Collective of Improvising Artists) entwickelt. Einige meiner Bekannten hatten einen guten Draht zur Landesregierung. Dort fragten sie: Was wäre, wenn Peter Madsen ein örtliches Ensemble gründet und die Musiker unterrichtet? Das Collective of Improvising Artists war geboren! Ich fordere meine Studenten und versuche wirklich, sie zu besseren Musikern zu machen. Ich lasse ihnen nichts durchgehen und trete sie in den Arsch. Wenn sie dann wirklich gut sind, verlassen sie uns natürlich. Lucas Dietrich zum Beispiel, der ursprüngliche Bassist beim CIA – ein Wahnsinnsmusiker, der jetzt in Berlin lebt. Alle Gruppierungen rund um den Pianisten David Helbock waren meine Workshop-Bands, und daraus haben sich wirklich tolle Ensembles entwickelt.

Das CIA hat im Februar dieses Jahres im Wiener Porgy & Bess an zwei Tagen einen eindrucksvollen Überblick über all diese Projekte gegeben. Eines davon ist „The Seven Deadly Sins“, nicht wahr?

Ja, die CD erscheint Ende September. Es hat eine Weile gedauert, um dieses Ensemble zu formen. Es ist ein Jazzquartett, kombiniert mit einem Streichquartett. Diese vier Streicher haben hart gearbeitet und sind einen weiten Weg gegangen. Und sie kommen alle aus Vorarlberg; es ist eines meiner Ziele, beim CIA nur ortsansässige Musikerinnen und Musiker einzusetzen. Es gibt in unserem Dunstkreis an die 30 Bands, die alle aktiv sind.

Ich habe auf deiner Website einen Text gefunden, in dem du auch kritische Anmerkungen zur finanziellen Situation von Jazzmusikern anbringst. Hat sich die Lage gebessert oder verschlechtert?

Extrem verschlechtert. Fast alle Musiker, mit denen ich in New York und anderswo rede, beklagen sich, dass es zu wenig Arbeit für sie gibt. Leute, die vielleicht 8 Tourneen pro Jahr spielten, machen jetzt nur mehr eine. Es hat große Veränderungen gegeben. Da sind zunächst einmal die Einbrüche bei den CDVerkäufen; dann die EU-Sparpakete: Wo spart man? Bei der Kunst. Die Vereine werden nicht mehr so gefördert wie früher. Jazz wird leider oft wie eine Musik aus dem Museum behandelt. Das klassische Jazzpublikum stirbt uns weg, und die jungen Leute interessieren sich eher für andere Musikrichtungen.
Aber es gibt auch eine positive Seite, und da sind sich viele einig: Die Musik selbst hat noch nie so ein hohes Niveau gehabt, was die Kreativität anbelangt, aber auch die Vielfalt und die Anzahl der Bands. Wir erleben gerade die kreativste Phase in der Geschichte des Jazz. Wenn die Leute sich nur die Zeit nehmen würden, genau hinzuhören, Geld dafür zu bezahlen, würden sie herausfinden, dass es unter der Oberfläche der ganz großen Clubs (in denen ohnehin die großen Stars spielen) Tausende unglaublich gute Projekte gibt. Dieses hohe Niveau ist ein weiterer Grund für mich, nicht aufzuhören. Ich sehe, wie rund um mich alles wächst und gedeiht. Das Jazzbusiness allerdings wächst nicht. Und so müssen viele von uns nach neuen Ausdrucksformen suchen.

Zum Beispiel?

Ich bin ein großer Stummfilm-Fan und besitze ca. 500 Filme. So dachte ich mir: Das könnte interessant sein, ein neuer Weg, um Gigs zu bekommen. Und jetzt spielen wir mit meiner „Silent Movie“-Band an die 20 Konzerte pro Jahr, das ist nicht schlecht. Wir improvisieren live zur Filmvorführung.

CD-TIPP

Peter Madsen’s Seven Sins Ensemble „Gravity Of Love“
VÖ am 25. September 2012, www.playscape-recordings.com

AUSWAHLDISKOGRAFIE

  • Peter Madsen Group „Snuggling Snakes“ (1993, Minor Music)
  • Peter Madsen/Peter Herbert „Darkness Pursues The Butterfly“ (1995, PAO)
  • Peter Madsen Solo „Sphere Essence – Another Side“ (2003, Playscape Recordings)
  • Peter Madsen Solo „Prevue Of Tomorrow“ (2006, Playscape Recordings)
  • Peter Madsen Trio „The Litchfield Suite“ (2010, Playscape Recordings)
  • Collective Of Improvising Artists „A Thousand Miles Journey“ (2011, Boomslang Records)

WEB-LINKS

www.petermadsen.us
www.playscape-recordings.com
www.concerto.at